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Interview mit Susanne Mierau

23.11.2024

Foto von Susanne Mierau

New Moms for Rebel Girls

Neue Eltern für coole Töchter braucht das Land

Für eine Lesung aus ihrem Bestseller „New Moms for Rebel Girls“ war Susanne Mierau am 19. April 2023 auf Einladung von LEA in Wien zu Gast. In herzlicher Atmosphäre ging es um die täglichen Anforderungen des Mutter- und Elterndaseins, Care-Arbeit, gelebte Partnerschaft, Solidarität und Selbstfürsorge.

Wie Elternschaft neu gedacht werden kann, führt die Autorin und Pädgagogin im Interview mit LEA aus.

Der Untertitel deines Buches lautet: „Unsere Töchter für ein gleichberechtigtes Leben stärken“. Warum ist das heute noch notwendig – sind wir nicht alle längst gleichberechtigt?

Auf vielen verschiedenen Ebenen sehen wir, dass es Gleichberechtigung noch nicht ausreichend gibt, das fängt bei der Aufteilung von Care-Arbeit an, geht – damit verbunden – weiter über das Armutsrisiko im Alter, erstreckt sich auf viele Bereiche der Erwerbstätigkeit bis hin zu Gewalterfahrungen von Frauen.

Was zeichnet die titelgebenden New Moms aus?

New Moms begleiten ihre Kinder in dem Wissen um die Probleme der Gleichberechtigung, von Rollenbildern und ihren negativen Auswirkungen auf die Entwicklung ihrer Kinder – in Hinblick auf alle Geschlechter, nicht nur Mädchen. Wir können die Gesellschaft und auch unser eigenes, darin geprägtes Denken nicht von heute auf morgen ändern, aber ein reflektierter Umgang mit den Problemen unserer Zeit und auch unseren eigenen Prägungen bringt uns bereits einen Schritt voran.

Du gehst in deinem Buch auf die Herausforderung ein, Töchter für ein selbstbestimmtes Leben zu stärken und gleichzeitig die eigene Sozialisation und Prägung zu reflektieren. Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen?

Damit wir unsere Töchter heute stärken, sie freier von Idealen und Normen begleiten können, ist es wichtig, sich der eigenen internalisierten Ansichten gewahr zu werden. Betrachten wir beispielsweise den Aspekt, dass gerade von Mädchen ein angepasstes, liebes, soziales, empathisches Verhalten erwartet wird, und Wut oder andere starke Emotionen bei Mädchen eher abgewertet werden. Wenn ein Mädchen widerspricht, ist es eine Zicke. Wenn ein Junge widerspricht, ist er willensstark. Diesen verinnerlichten Bilder – und davon gibt es viele – sollten wir möglichst früh mit Reflexion begegnen: Warum denke ich so? Wie war das in meiner Kindheit?
Oft sind wir uns dieser Probleme allerdings erst gewahr, wenn sie auftreten – wenn überhaupt. Und dann brauchen wir Zeit, um uns damit zu beschäftigen. Da aber Care-Arbeit besonders auf Frauen übertragen wird und sich die unbezahlte Care-Arbeit oft zu bezahlter Care-Arbeit gesellt, bleibt meist wenig Zeit für diese Reflexion und Aufarbeitung.
Bei vielen Themen fällt es trotz des kritischen Denkens schwer, einen anderen Weg einzuschlagen. Betrachten wir beispielsweise das Schönheitsideal: Mütter, die mit Barbie, Disneyfiguren und Size-Zero-Models aufgewachsen sind, hatten es schwer, eine neutrale oder gar positive Einstellung zum eigenen Körper auszubilden und diese auch noch nach außen zu transportieren. Hier wäre es beispielsweise schon ein erster Schritt, wenn wir besonders vor unseren Kindern aufhören, andere Körper zu bewerten, und ihnen durch diverseres Spielzeug als wir es hatten, Unterstützung bieten.

Wie kann feministische Erziehungsarbeit gelingen, ohne Müttern und Eltern zusätzlichen Druck zu machen und eine weitere Verantwortung auf ihre Schultern zu laden?

Natürlich reicht es nicht, wenn nur Frauen Feministinnen sind. Feminismus muss von vielen Schultern getragen werden, intersektional, und gerade jene Personen, die über mehr Macht verfügen, sind gefragt, an den Strukturen zu arbeiten.
Gleichzeitig stimmt auch die Aussage von Simone de Beauvoir: „Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen – sie bekommen nichts.“ – Wir müssen gemeinsam die Veränderung angehen, die wir brauchen und uns zusammentun. Jene, die mehr Kraft, Reichweite, Macht haben können sich mehr und stärker einbringen und auch für jene mitstreiten, die weniger Gehör bekommen oder weniger Ressourcen dafür haben, aufzubegehren. 
Dazu muss feministische Arbeit natürlich in Institutionen vordringen. Etwa in die Kindertageseinrichtungen: Wie werden Geschlechterrollen dort in Kinderbüchern repräsentiert, welche Spielsachen sind für welche Kinder zugänglich und wie gehen Fachpersonen mit den Kindern um. Wo werden beispielsweise Klischees weitergegeben, wenn gesagt wird: „Ach Leon, du kannst doch nicht die Mama sein im Spiel“ und Mädchen selbstverständlich dazu aufgefordert werden, in der Puppenküche einen Kuchen zu backen.
Auch in Schulen und Jugendeinrichtungen herrscht Nachholbedarf in Hinblick auf Schulmaterialien: beispielsweise bei der Frage danach, wie viele Bücher und Gedichte von Autoren im Deutschunterricht behandelt werden und wie viele von Autorinnen. Selbiges gilt auch in der allgemeinen Gestaltung von Texten und Bildern im Grundschulbereich.

„Damit wir unsere Töchter heute stärken, sie freier von Idealen und Normen begleiten können, ist es wichtig, sich der eigenen internalisierten Ansichten gewahr zu werden.“

– Susanne Mierau

Welche Rolle kommt den New Dads bei der Aufgabe zu, ihren Töchtern und Söhnen Gleichberechtigung zu vermitteln?

Väter nehmen, sofern sie in der Familie vorhanden sind, einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung von Rollenbildern – sowohl in Bezug auf weibliche als auch männliche Rollenbilder. Zudem bestimmt ihr Verhalten gegenüber dem Kind, wie sich das Kind selbst sieht. Gerade positive Bestärkung von Mädchen, die sich nicht auf das Aussehen bezieht, ist wichtig, beispielsweise die Anerkennung ihrer Problemlösungsfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit etc. Wenn Eltern eine Paarbeziehung führen, verinnerlichen Kinder durch dieses Vorbild die Verteilung von Care-Aufgaben, aber auch den Ausdruck von Wertschätzung und Liebe. 
Im Sinne des gemeinsamen Vorgehens gegen Rollenklischees und Gewalt gegenüber Frauen kommt Vätern auch in der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle zu: Es ist wichtig, andere auf Sexismus und Grenzüberschreitungen hinzuweisen – auch im Gespräch in der netten Stammtischrunde, wo dann vielleicht einen Moment lang Schweigen herrscht, weil man erklärt, dass ein Witz doch gar nicht so lustig ist.

Durch die Vermittlung von Resilienz, Selbstwertgefühl und Widerspruchsrecht stärken wir unsere Töchter für kommende Herausforderungen – was bedeutet das konkret?

Auch wenn wir selbst unsere eigenen inneren Bilder, Ideale und unser Verhalten zu hinterfragen und zu verändern suchen, werden unsere Kinder mit der Realität außerhalb der vielleicht reflektierten Familie konfrontiert. Sie werden Werbung sehen, werden Bewertungen durch andere ausgesetzt sein und vielleicht in der Schule oder bei der Ausbildung Benachteiligung erfahren. 
Für die Auseinandersetzung mit den in der Gesellschaft noch immer vorkommenden Klischees und Benachteiligungen benötigen sie diese innere Stärke – um sich dem entgegenzusetzen, um sich zu widersetzen oder zumindest in sich den sicheren Gedanken zu haben, dass sie von ihren nahen Bezugspersonen immer das Gefühl vermittelt bekommen haben: „Ich bin so richtig, wie ich bin. Ich bin wertvoll und liebenswert.“

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